St. Urbanus für...

Predigt zum 5. Fastensonntag – Die Frage nach Jesus

Jeden Sonntagabend an dieser Stelle: Gedanken von Propst Pottbäcker zur Fastenzeit 2021

Liebe Schwestern und Brüder,

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seit vielen Jahren schon berührt mich immer wieder das Wort aus dem heutigen Evangelium, die Bitte der griechischen Pilger an Philippus: „[…] wir möchten Jesus sehen.“ (Joh 12, 21b)

Es berührt mich, weil da fremde, jüdische Pilger, die ja nur für eine begrenzte Zeit in Jerusalem sind und dennoch ganz offensichtlich schon etwas von Jesus Christus gehört haben, sich an Philippus wenden, damit er sie zu Jesus führt.

Philippus war, wie sein Name verrät, von griechischer Abstammung. Dadurch ist er den Griechen vertraut, er spricht ihre Sprache und kann so Übermittler der Bitte an Jesus sein. Leider erfahren wir nicht, woher die griechischen Pilger etwas gehört und was sie erfahren hatten und warum sie unbedingt Jesus sehen und treffen wollten. War es nur Neugierde, war es die zu diesem Zeitpunkt größer werdende Aufmerksamkeit der Bevölkerung und der religiösen Autoritäten, die sich herumgesprochen hatte, weil Jesu Auftreten mit Zeichen, Wundern und spektakulären Gesten verbunden war? Oder war es eine verborgene Sehnsucht, dass es „mehr als alles geben muss“, wie es die Dichterin Nelly Sachs im vergangenen Jahrhundert formulierte?

Gerade dieser Satz fasst für mein Empfinden wunderbar zusammen, was vermutlich zu allen Zeiten der Quell aller Sehnsucht in uns Menschen ist. Wir leben in einer Zeit, die nicht mehr eindeutig religiös geprägt ist. Die Gesellschaft in Deutschland und Europa hat sich abgewendet von tradierten Formen der Kirchlichkeit und religiösen Praxis. Aber ist damit die Sehnsucht gestillt, zu erfahren, ob es mehr als alles gibt?

Religion ist natürlich nicht die alleinige Form einer Antwort auf die dem Menschen innewohnende Sehnsucht und die Frage der Griechen wird heute sicher so wortwörtlich nicht gestellt und doch belegt das Wort von Nelly Sachs, dass wir Menschen nicht aus dem Diesseits und der Gegenwart alleine leben.

Die Frage der Griechen berührt mich aber auch schon sehr lange in der weiteren Dimension, dass ich sie als Anfrage an Kirche überhaupt empfinde, ja geradezu als erster und entscheidender Wesensakt von Kirche, nämlich auf Jesus hin zu verweisen.

Die zurückliegende Woche hat aber erneut und auf erneut frustrierende und enttäuschende Weise eine Kirche geoffenbart, die nicht auf Jesus hinweist! Die gerade dem Kompass verloren zu haben scheint, sich einzig und allein auf Jesus auszurichten in der Weise, wie ER selber sein Leben als Gottmensch verstanden hat, nämlich als Hingabe!

Welch wunderbares Bild ist in der Lesung aus dem Buch des Propheten Jeremia beschrieben: „Keiner wird mehr den andern belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, denn sie alle, vom Kleinsten bis zum Größten, werden mich erkennen […]“. (Jer 31, 34).

Müsste man das nicht auf Kirche übertragen können?

Es ist mir zuwider, in Plattitüden und billige Vereinfachungen zu verfallen und ich liebe diese Kirche nach wie vor, so wie sie ist und nicht erst dann, wie ich sie mir wünsche; aber wäre es nicht endlich an der Zeit, mit einer Form gegenseitigen Belehrens aufzuhören und dem gegenseitigen Absprechen des guten Willens und Bemühens darum, Kirche Jesu zu sein? Kirche ist nicht um ihrer selbst willen da! Kirche ist in der Gegenwart erfahrbare Gemeinschaft der Gegenwart Jesu; das ist sie durch uns, die wir getauft sind. Und wir müssen die sein, die die Frage möglich machen unter den Menschen: Wir möchten Jesus sehen!

Ich glaube, dass es die größte Sünde von Kirche sein kann, diese Frage durch das eigene Handeln zu verunmöglichen und ebenso, die Gegenwart Jesu in dieser Zeit so zu verdunkeln, dass ER nicht mehr sichtbar ist! Philippus war ein Mensch, wie wir es sind, wir wissen über ihn nichts weiter zu diesem Zeitpunkt; aber seine Nähe zu Jesus Christus war entscheidend, die sichtbar und spürbar gewesen sein muss. Und darum geht es heute auch – um die sichtbare und spürbare Nähe zu Jesus Christus; anhand von moralischen Kriterien ist diese nicht messbar. Sie bemisst sich an der Liebe!

Und hier wiederum sind wir in der Feier der Hl. Messe im Wesenskern von Kirche, der unverfügbar ist, nämlich Jesus Christus im verwandelten Brot und Wein als SEINEN Leib und SEIN Blut zu erfahren und zu empfangen. Das ist die fortgesetzte Form SEINER Liebe zu uns.

Die Erfahrung dieser Liebe, die uns ohne Vorleistung geschenkt wird, ist der Grund, auf dem Kirche steht und ist zugleich ja auch das, was es nur in der Gemeinschaft der Kirche gibt. Das kann und das darf uns beieinander halten, auch, wenn das vielen katholischen Christen in dieser aktuellen Zeit schwerfällt.

Aber es bleibt uns nichts anderes, auch in dieser Zeit, als dem Auftrag zu folgen, ein lebendiger Verweis auf Jesus zu sein! Denn es geht um die Liebe und das Heil, auch für uns!

Foto: Steen Jepsen, pixabay.com (bearbeitet)