Sieben-Schmerzen-Kapelle feiert Jubiläum
Im Jahr 1723 stiftete Henrica Johanna von Westerholt die Sieben-Schmerzen-Kapelle im Westerholter Wald. In diesen Tagen feiert das kleine Gotteshaus sein dreihundertjähriges Bestehen. Aus diesem Anlass hatte der Förderverein Sieben-Schmerzen-Kapelle e.V. am Sonntag, 17. September, zu einem feierlichen Gottesdienst eingeladen.
Rund 450 Gläubige folgten der Einladung an diesen Ort, den Propst Markus Pottbäcker aus St. Urbanus in Buer in seiner Begrüßung als heiligen Ort, als Ort der Besinnung und der Ruhe bezeichnete. Gemeinsam mit Pfarrer Norbert Urbic aus St. Martinus in Westerholt leitete er den Gottesdienst, der in eindrucksvoller Weise vom Propsteichor St. Urbanus und den Martinsbläsern aus Westerholt begleitet wurde.
Die Predigt hielt Domkapitular Christian Böckmann – für viele Bueraner kein Unbekannter, war er doch lange Jahre Seelsorger in St. Mariä Himmelfahrt in Buer und ist dadurch der Kapelle in besonderer Weise verbunden. Böckmann blickte auf die wechselvolle Geschichte der Kapelle über die Jahrhunderte zurück – von ihrem Bau, der der Überlieferung nach ein Zeichen der Versöhnung und des Friedens nach gewalttätigen Grenzstreitigkeiten zwischen Westerholtern und Bueranern sein sollte, über eine eindrucksvolle Maiandacht mit 10.000 Teilnehmern im Jahr 1933, die auch zum Zeichen des Protests gegen die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde, bis hin zur Zerstörung der Kapelle durch einen verheerenden Orkan im Jahr 1940 und den mühsamen Wiederaufbau der Kapelle nach dem Krieg, ihren erneuten Verfall und die grundlegende Renovierung nach der Gründung des Fördervereins im Jahr 2000.
Böckmann betonte dabei vor allem auch die Bedeutung spiritueller Orte wie der Sieben-Schmerzen-Kapelle in der heutigen Zeit: „Unsere Kapelle ist ein stilles Zeugnis dafür, dass der christliche Glaube und die Botschaft des Evangeliums für Generationen eine verlässliche Größe war – ein fester Halt und eine Orientierung.“ Gerade in der heutigen Zeit mit Kriegen, Fluchtbewegungen, der steigenden Sorge vor dem Klimawandel, aber auch dem dramatischen Wandel in der katholischen Kirche mit Kirchenschließungen und dem Verlust der Relevanz des christlichen Glaubens, sei die Kapelle ein Ort, der für Menschen ein Ort des Rates und der Orientierung sein könne. Nicht umsonst würden sich ganz bewusst immer wieder Menschen auf den Weg machen, um die Kapelle aufzusuchen – um Abstand zu gewinnen vom Alltag, um die Stille zu genießen, um die eigene Perspektive zu überdenken und bestenfalls etwas verwandelt wieder in den Alltag zurückzukehren.
Mindestens genauso wichtig wie der Ort, so Böckmann, seien jedoch die Menschen, die die Kapelle als Ort des Glaubens mit Leben füllen. Der gemeinsame Glaube ziehe sich als roter Faden durch die Jahrhunderte und verbinde die Generationen, die an der Kapelle gebetet haben, zu einer Gemeinschaft. Gerade auch der Jubiläumsgottesdienst sei ein beeindruckendes Zeichen für eben diese Gemeinschaft.
Predigt von Domkapitular Christian Böckmann im Wortlaut
Ich danke ganz herzlich für die Einladung, heute hier nicht nur diesen Tag und den Gottesdienst mit Ihnen zu feiern, sondern auch predigen zu dürfen. Ich habe mich sehr gefreut, als ich die Einladung vom Sieben-Schmerzen-Kapellenverein, von Konrad Herz, bekam. Ganz herzlichen Dank an den Sieben-Schmerzen-Kapellenverein, dass ich heute diesen Gottesdienst eben auf diese Weise mitfeiern darf, und es ist tatsächlich so, dass es ganz viele Gedanken sind, die mir in dieser Stunde so durch den Kopf und vor allen Dingen auch durchs Herz gehen.
300 Jahre steht hier unsere Sieben-Schmerzen-Kapelle, und sie hat für ganz viele von uns einen ganz festen Platz hier im Wald und viel wichtiger, in unserem Herzen. Es ist für viele ein Ort großer Vertrautheit und vielleicht auch so etwas wie ein wenig Heimat. Von dem eigentlichen Bau dieser alten Kapelle vor 300 Jahren, besteht nur noch vorne an der Stufe, am Eingang, etwas. Alles andere – und das macht ja auch schon etwas deutlich und ist auch schon eine Botschaft – alles andere wurde schon im Laufe der drei Jahrhunderte verändert, umgebaut, musste ersetzt werden.
Es ist eine ganz, ganz lange und auch eine ganz wechselvolle Geschichte. Schon alleine die Frage: “Warum steht diese Kapelle hier?”, entzweit in gewisser Weise auch die Leute. Es gibt da zwei Traditionen: die Bueraner, die immer von der Hexe Änneken Spiekermann sprechen, und die Westerholter, die sagen: Nein, das ist ein Ort, an dem es immer bei Grenzritten und Grenzbesichtigung zum Streit kam – historisch haltbar ist wohl diese Variante eher als das andere. Das andere ist aber spektakulärer und geht einem gleich unter die Haut.
Wichtig ist, und ich glaube, das ist auch für uns heute wichtig: Es ist ein Ort des Gebetes und eben auch immer ein Ort der Versöhnung, ein Ort der Begegnung, ein Ort, wo Menschen um Frieden beten. Es gab einen Tag und eine Zeit, da war das in ganz besonders beeindruckender Weise so, und zwar vor 90 Jahren, im Jahr 1933. Der damalige Pfarrer Rosen von Sankt Urbanus, auch Dechant des Dekanats Buer und Westerholt, rief zu einer gemeinsamen Maiandacht zusammen, und es kamen in diesem Jahr, das ist so jedenfalls in Zeitungen belegt, mehr als 10.000 Menschen zusammen um hier zu beten. Das hatt nicht nur fromme Hintergründe, das war auch ein politisches Statement, denn 1933, das war das Jahr der Machtergreifung, das Jahr, wo auch durch Nationalsozialisten große Dinge geschehen sind in der Öffentlichkeit, und da wollte man von christlicher Seite einen Gegen-Akzent setzen. In einer Zeit, in der Hetze Hochkonjunktur bekam, ging man hier hin in den Wald, in die Stille, in dieses beschauliche Heiligtum, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf das Wesentliche des Evangeliums und damit auch auf das Wesentliche des Menschlichen.
1940 zerstörte ein verheerender Orkan die Kapelle, und einige Jahre nach dem Krieg, 1948, haben sie Kolpingssöhne wieder aufgebaut. Und dann kommt auch meine eigene Erinnerung ins Spiel, das war Anfang der 1990er Jahre, ich erinnere mich gut und Sie vielleicht auch noch: Die alte Kapelle hatte manchmal fast den Charme einer Gartenlaube oder war zumindest sehr, sehr heruntergekommen. Das Dach drohte einzustürzen, die Feuchtigkeit setzte dem ganzen zu, und dann haben wir immer wieder versucht, Initiativen zu gründen. 1998 war es dann so weit, der Sieben-Schmerzen-Kapellenverein hat unter der tatkräftigen Leitung von Konrad Herz seine Arbeit aufgenommen, und am 16 September 2001, also gestern vor 22 Jahren, da konnten wir hier die Kapelle ganz feierlich einweihen. Pater Hubert Mohns, damals Generalprior der Serviten, kam aus Rom hierher und stand dem Gottesdienst vor. Wir haben damit die Einweihung der neuen, der ganz renovierten Kapelle feiern dürfen. Und seitdem ist auch wieder viel geschehen in der Kapelle, und außerhalb: Die Via Matris, die aufgebaut wurde,der Glockenturm, die Innenausstattung – alles sehr beeindruckend.
Und doch, liebe Schwestern und Brüder, neben all dem Beeindruckenden, wofür wir sehr, sehr dankbar sein dürfen und es auch sind, scheint mir eigentlich viel wichtiger das zu sein, was heute hier geschieht, nämlich lebendige Steine. Menschen, wir, die wir zusammenkommen, um unseren Glauben miteinander zu feiern, um Gemeinschaft zu erleben und auch das Geschenk unseres Glaubens zu vertiefen. Denn ich denke, dass jede und jeder von uns heute mit ganz persönlichen Anliegen hierher gekommen ist, mit Erinnerungen, mit Dankbarkeit, vielleicht aber auch mit mancher Sorge, mit dem, was Sie jetzt im Moment beschäftigt, was Ihr Leben vielleicht auch bedrückt, was es schwer macht.
Der Glaube ist so etwas wie ein roter Faden durch die Jahrhunderte, und ich finde es beeindruckend, sich das einmal vorzustellen, was alleine hier an diesem Ort an Fäden entstanden ist über drei Jahrhunderte. Menschen in all den wechselvollen Zeiten, in denen sie gelebt haben, Menschen, die so wie wir heute hier hinkommen, um Hoffnung zu schöpfen, um sich stärken zu lassen. Das, was Glaubende zusammen verbindet, was ihren gemeinsamen Weg ausmacht, und gleichzeitig aber auch verantwortlich dafür zu sein, so wie auch wir es versuchen, nicht nur den Glauben zu bewahren als etwas vergangenes, sondern ihn in der Gegenwart zu leben und vor allen Dingen auch für die Zukunft zu sichern, weiterzugeben.
Die Kapelle ist ein besonderer Ort, ein kleines Heiligtum, ein Ort des Trostes, und so wie es Propst Pottbäcker am Anfang sagte: Es ist so, man ist hier nie allein. Spaziergänger, die eine kurze Pause machen. Vor einigen Wochen war ich hier, da kam ein Jogger um die Ecke, hielt sich erstmal am Gitter fest und holte etwas Luft, aber zog dann auch weiter nach einer kurzen Stille, und ich bin mir sicher, dass es eben nicht nur die physikalische Luft war, die er aufgenommen hat.
So etwas wie heute – gemeinsame Gottesdienste zu feiern, das, was unseren Glauben ausmacht, was wir mit unserer Hoffnung teilen. Aber auch das, was wir an Nöten und was wir an Sorgen haben. Und was ist das heute, liebe Schwester und Brüder? Sicherlich ganz anderes als das vor 300 Jahren, was da Menschen bewegt hat. Wir sind in einer Zeit des Krieges, und der hat viele Gesichter für uns. Seit anderthalb Jahren gibt es Krieg in Europa und Tag für Tag sterben Menschen. Und viele von uns sind davon betroffen, weil sie Menschen kennen, mit ihnen verbunden sind, die unmittelbar Opfer des Krieges sind, die ihre Heimat verlassen haben, die bei uns Zuflucht suchen. Ein menschenverachtender Krieg eines imperialen russischen Regimes. Nie zuvor hat es wahrscheinlich so viele Menschen gegeben, die auf der Flucht sind auf der Welt – Flucht vor Verfolgung und vor Krieg, Flucht vor Not und Hunger und Elend. Alle kommen dabei an ihre Grenzen. Auch wir, die wir helfen wollen, kommen an unsere Grenzen. Die Erde leidet, die Mutter Erde, und sie leidet längst nicht nur still vor sich hin, sondern es ist manches Mal wie eine klaffende Wunde, so hat man das Gefühl.
Katastrophen, Erdbeben, Überschwemmungen – all das zeigt, in welchem Zustand sich unserer Welt befindet. Und in welchem Zustand – auch das ist eine große Sorge – befindet sich unsere Gesellschaft? Mit Angst und Bange kann man darauf schauen: Wie wird es weitergehen mit den Menschen in unserem Land, mit unserem Volk, mit Europa, mit der Art und Weise, wie wir leben. Immer wieder, liebe Schwestern und Brüder, wird es auch hier an diesem Ort so sein, dass Menschen diese Gedanken und diese Sorgen vor Gott und an dieser Stelle eben dann auch mit dem Evangelium in Verbindung bringen, mit dem Evangelium, das uns Halt und Orientierung gibt.
Wie sieht es eigentlich aus mit der Art und Weise, wie wir das Evangelium leben können, liebe Schwestern und Brüder? Wie sieht es aus mit unseren Gemeinden und mit unseren Pfarreien? Vieles ist da in großen Krisen und Erosionen, und manches davon ist hausgemacht und haben wir selber zu verantworten. Wie sieht es aus mit der Zukunft, wenn wir hier sagen, ein Ort, der nicht nur der Vergangenheit gehört, sondern wo auch die Zukunft des Glaubens gebaut wird? Gibt es Zukunft für uns als Kirche? Wie sieht das aus in einer Zeit, in der sich die kirchliche Landschaft so fürchterlich verändert? Ich frage mich manchmal, warum wir, die wir heute Verantwortung tragen, warum unsere Generation eigentlich all diese Schritte tun muss. Kirchen schließen, das ist etwas ganz schreckliches, das macht niemand gerne. Das ist etwas, das ganz große innere Kraft und letztlich auch Glaubenskraft braucht, um solche Schritte irgendwie tun zu können.
Wie hat sich die kirchliche Landschaft verändert in den letzten 20 oder 30 Jahren hier bei uns in Buer und in Westerholt? Aber noch viel wichtiger: Wie hat sich auch unser religiöses Leben verwandelt? Welchen Verlust an Bedeutung und Relevanz hat der Glaube für viele Menschen, vielleicht auch für uns selber? Die soziale Gestalt von Kirche – ich erinnere mich ganz gut daran, damals war Felix noch Bischof von Essen, und das war einer seiner ersten Orte, an denen er das gesagt hat, dass die soziale Gestalt der Kirche, so wie wir sie kennen, als Volkskirche, zu Ende geht. Das liegt längst hinter uns, das ist schon vorüber, wir sind da schon viel weiter, und es gibt manche, die meinen, sich immer nur zurück träumen zu müssen in das, was vergangen ist. Das ist aber witzlos, und das ist letztlich auch lebensuntauglich, und wir neigen dazu, gerade auch in der katholischen Kirche, manches Mal sehr verklärt zurückzuschauen und dabei die Probleme der Gegenwart oder die Herausforderungen der Zukunft einfach irgendwie beiseite zu schieben.
Vielleicht, liebe Schwestern und Brüder, sind es solche Orte wie hier, wie unsere Sieben-Schmerzen-Kapelle, die bei all diesen Sorgen, die uns manches Mal fast erschlagen und erdrücken mögen, für uns eine Hilfe sein kann, vielleicht auch ein bisschen Wegweiserin, ein bisschen Ratgeberin. Was könnte das sein? Zunächst einmal: Die Kapelle steht hier. Die Kapelle steht nicht in Buer auf dem Marktplatz, sie steht auch nicht bei uns an der Bettkante oder direkt vor der Haustür, sondern sie steht hier im Wald. Das heißt, man muss sich auf den Weg machen, man macht sich ein Stückchen auf dem Weg aus dem Alltag heraus. Man kommt hierhin, und man kommt in eine andere Welt. Man kommt in die Stille, man kommt in das Atmen des Waldes, man hört und man sieht auf einmal ganz anders. Die Wahrnehmung und die Perspektive verändern sich, und das, liebe Schwestern und Brüder, ist immer auch ein geistliches Geschehen. Es verändert dann auch uns, und bestenfalls kehren wir von diesem Ort, von der Kapelle, verwandelt wieder zurück in unser Leben und unseren Alltag.
Hier an der Kapelle geht es natürlich besonders um die Gegenwart Gottes. Maria zeigt uns Jesus, ihren Sohn, von dem wir glauben und sagen, er ist der Sohn Gottes, er ist der Christus, aber Maria zeigt ihn uns hier auf eine ganz besondere Weise. Sie hält ihn als den toten Sohn auf ihrem Schoß entgegen. Das ist die Prägung dieses Ortes. Sieben Schmerzen Mariens, eine ziemlich barocke Frömmigkeit und darum auch in der Gefahr, ein Stückchen weit weg zu sein. Auf der anderen Seite ist es eine Frömmigkeit, die uns ganz realistisch immer wieder auf den Boden holt.
Unsere Welt, die ist nicht einfach ein Heiapopeia, was dann irgendwie der Himmel einmal sein dürfte. Nein, unsere Welt ist so, wie sie ist. Sie ist hart, sie macht Sorgen, sie ist manches Mal verwundet und bereitet Schmerzen. Unsere Welt ist endlich, und manchmal fühlen wir uns darin völlig ohnmächtig. Und dann, liebe Schwestern und Brüder, und dann kommt eigentlich das Entscheidende, dann kommt nämlich die Botschaft des Glaubens, und dafür steht Maria eben auch: als eine starke Frau, als eine Frau, die durchhält hat, eine Frau, die sich letztlich immer wieder von der Hoffnung leiten lässt. Von einer Hoffnung, und einer Verheißung, dass Schmerz und Tod eben nicht das letzte Wort haben – und wenn wir in die Realität dieser Welt schauen, ist das wirklich unglaublich.
Aber das ist die Botschaft des Evangeliums, liebe Schwestern, und Brüder, nicht irgendwelche Waffen, nicht irgendwelche Machtspielchen, sondern letztlich ist es die Liebe, die siegen wird. Diese verletzliche und diese zärtliche und diese zerbrechliche Liebe ist stärker als der Tod. Und die Solidarität, das Mitleiden, die Barmherzigkeit, die Versöhnung, das verwandelt, das kann Heilung schaffen. Etwas, das immer von Gott ausgeht, aber etwas, wofür wir Orte brauchen, um dies vielleicht in ganz besonderer Weise auch zu erfahren, aufatmen und aufrichten zu können. Frieden, das ist die Botschaft dieses Ortes, und das ist die Botschaft des Evangeliums, das ist die Verheißung unseres Glaubens, und zwar angesichts unserer Welt. Gott sei Dank!
Hinweis: Der Predigtext wurde mithilfe von KI aus einer Audioaufnahme transkribiert.
Fotos: Ludger Klingeberg / Pfarrei St. Urbanus